KOLUMNE:
Jugend von heute
Es klafft eine riesige Lücke. Seite 21. Samstag: leer. Sonntag: leer.
Es ist das erste Mal seit dem Anfang des Jahreswechsels, dass ein leeres Wochenende zum Ensemble meines Dirigenten, meine Agenda, dazugehört. In der Symbiose von Studium, Nebenjöblis, Geburtstagen, Skiweekends und Sport ging das Dasein eines leeren Wochenendes völlig in Vergessenheit. Doch nun steht es tatsächlich an. Bis jetzt. Ob es sich wirklich in die Tat umsetzen lässt, ist noch ungewiss. Dies hält mich aber nicht davon ab, schon einmal zu träumen, was ich alles mit dieser freien Zeit anfangen könnte. Bis 5 Uhr morgens Harry Potter schauen, Süsses essen und dann ausschlafen; sich in der Brocki im Kleiderfundus verlieren und beim Anprobieren fünf verschiedene Charakteren kreieren; Mimosa Brunch mit Freundinnen, welcher in nicht-endenden Lachanfällen endet; den ganzen Tag in IKEA verbringen und in Gedanken unzählige Wohnungen und Häuser einrichten; gemütliches Beisammensein zur Kaffeestunde und dabei völlig die Zeit vergessen; sich mittels Bon Jovi und Soul Asylum in die 90er Jahre zurückversetzen und einfach mal tanzen.
Die Kunst, in den Tag hineinzuleben, habe ich in meinem Terminmarathon völlig verlernt. Die Schönheit der Spontanität habe ich vergessen. Das Privileg mir selber gestohlen. Irgendwie bin ich bei der Gratwanderung zwischen Ambitionen und jugendlicher Faulheit falsch abgebogen und habe den Weg eingeschlagen, den alle gehen. Mein Leben ist verplant, meine Freundschaften wurden eingetragene Termine und mein Privatleben ein Lückenfüller. Mit Freunden muss ich Doodle-Umfragen machen, um ein gemeinsames offenes Zeitfenster zu sichten, nur um dann gestresst am Tisch zu sitzen und im Kopf eigentlich schon ein Termin weiter zu sein. Ich bin nun genau zu dieser Person geworden, die ich früher immer im Gespött belächelt hatte. Ich vermisse die kindliche Unbeschwertheit, Termine zu verschieben, sobald das Badi Wetter angebrochen ist. Die Freiheit, ohne von Pflichten eingeschränkt zu sein. Die Zeit in den Ferien, als man einfach an der Haustüre geklingelt hatte, um spielen zu gehen. Man lebte im Hier und Jetzt. Heute mache ich mir To-do-Listen mit Dingen, die ich an freien Tagen erledigen muss: Einkauf, Aufräumen, Wäsche waschen, Steuern… geplante Freizeitaktivitäten sind Rarität und Nichtstun eine Phantasie. Nichtstun wird in der Gesellschaft oftmals mit Faulheit gleichgesetzt, obwohl es eigentlich doch eine Notwendigkeit ist.
Eine Studie der Draugiem Group aus Lettland fand heraus, dass die produktivsten Menschen in 52-Minuten-Phasen arbeiten und dann 17 Minuten pausieren. Dieser Rhythmus hilft, konzentriert zu bleiben und Erschöpfung vorzubeugen. Ein Trend aus den Niederlanden versucht genau dies in die Tat umzusetzen. Mehr Wellness und Achtsamkeit sollen so den Alltag dominieren. Der niederländische Ansatz verfolgt die Idee, den Augenblick zu geniessen. Ohne Druck oder Erwartungen und ohne das endlose Surfen im Internet oder das Verbringen im Seriengestrüpp Netflix. Denn trotz körperlicher Entspannung sorgen moderne Technologien nicht für das Abschalten des Geistes. Dabei setzte ich oftmals Entspannung mit einem Serienmarathon gleich oder mit Zeit auf den sozialen Medien. Und dabei könnte ich diese Zeit so viel besser nutzen. Im Hier und Jetzt geniessen. Freude am Leben haben. Um eine erfolgreiche Geschäftsfrau oder Geschäftsmann zu sein, gehören immer zwei Seiten. Eine Person, die fokussiert und ambitioniert ihren Terminplan abarbeitet und eine Person, die ohne Zeitgefühl einfach mal spontan tanzt und sich von keinen Verpflichtungen einschränkt.
Herzlichst
Lilly Rüdel